Aus Konsumentensicht war für mich die Mehrwertsteuer (MWST) immer die Steuer, die Produkte verteuert. Und immer wieder hörte ich auch das Argument, die MWST sei unsozial, weil arm und reich sie gleicherweise bezahlen müssen.
Seit ich vor drei Jahren eine eigene Firma, die avertas GmbH, gegründet habe, die auch MWST-pflichtig ist, hat sich meine Sichtweise stark verändert. Für mich als Unternehmer ist die MWST sehr einfach. Vier Mal pro Jahr muss ich der eidgenössischen Steuerverwaltung ein einseitiges A4 Formular mit ein paar Zahlen ausgefüllt einsenden und den errechneten MWST-Betrag überweisen. Mit einer gut geführten Buchhaltung ist dies in Kürze auf Knopfdruck erledigt. Und jedes Mal, wenn ich die „normale“ Steuererklärung ausfüllen muss, sei es privat oder für die GmbH, wünschte ich mir, es wäre so einfach wie die MWST. Aber wie funktioniert die MWST eigentlich?
Die MWST – eine kleine Einführung
Die MWST ist eine Konsumsteuer auf Produkte und Dienstleistungen. Hierzu als konkretes Beispiel FreeBeer, eines der Produkte der avertas GmbH. Wir kaufen das Bier bei der Brauerei ein. Die Brauerei verrechnet uns neben dem Preis für das Bier zusätzlich 8% MWST. Wenn wir das Bier weiter verkaufen, verrechnen wir auf dem Verkaufspreis ebenfalls 8% MWST. Für die Steuerabrechnung muss ich nun einerseits zusammen zählen, wie viel MWST ich bei Einkauf von Bier an die Brauerei bezahlt habe (diese heisst Vorsteuer). Andererseits muss ich zusammenzählen wie viel MWST ich meinen Kunden verrechnet habe (Umsatzsteuer). Der von der avertas geschuldete Steuerbetrag entspricht nun der Differenz von Umsatzsteuer und Vorsteuer.
Ein einfaches Zahlenbeispiel (in Klammer die MWST)
Einkaufspreis 100.- (+ 8.-)
Verkaufspreis 200.- (+ 16.-)
Die avertas bezahlt der Steuerverwaltung also 16.- – 8.- = 8.-. Die Vorsteuer von 8.- wurde bereits von der Brauerei, resp. deren Lieferanten an die Steuerverwaltung abgeliefert.
Als Unternehmen können wir alle Aufwendungen (z.B. Telefon oder Papier), die MWST-pflichtig sind, als Vorsteuer geltend machen und in Abzug bringen (Eigenbedarf ausgenommen). Man bezahlt jeweils nur Steuern auf den geschaffenen Mehrwert. Daher kommt auch der Name „Mehrwertsteuer“.
Nehmen wir nun an, dass wir mehr Bier eingekauft haben, als wir verkaufen können. Es läuft ab und muss weggeschüttet werden. Da wir keinen Mehrwert geschaffen haben, müssen wir auch keine MWST bezahlen. Auch die bereits an die Brauerei bezahlte MWST können wir, wie üblich als Vorsteuer abziehen. Die MWST wird erst mit dem Konsum wirksam.
Ein weiterer wichtiger Aspekt: Die MWST ist eine rein nationale Steuer. Das heisst, die Schweizer MWST wird nur fällig, wenn das Produkt oder die Dienstleistung in der Schweiz konsumiert wird. Wenn wir also Bier nach Deutschland exportieren, verrechnen wir keine MWST und können zudem den ganzen, bereits an die Brauerei bezahlten MWST-Betrag als Vorsteuer geltend machen. Am Zoll wird im Gegenzug die deutsche MWST fällig, die der Importeur zu tragen hat. Umgekehrt funktioniert es genauso. Wenn wir Malz aus Deutschland importieren, zahlen wir nur die Schweizer MWST auf den gesamten Betrag. Dies hat einen wichtigen Effekt auf Exporte und regionale Steuergerechtigkeit, auf die wir später noch zurück kommen.
Die MWST ist eine transparente Steuer
In unseren Produkten stecken viel mehr Steuern und Abgaben als nur die MWST. Dazu gehören z.B. die Sozialabgaben für AHV und Arbeitslosenversicherung (ALV), aber auch die allgemeinen Steuern, die die Unternehmen und deren Angestellte bezahlen. Alle diese Steuern und Abgaben sind für die Unternehmen Kosten und müssen in die Preise eingerechnet werden. Man kann es drehen und wenden wie mal will: Am Schluss zahlt immer der Konsument, auch wenn er es nicht direkt merkt! Daniel Häni nennt dies treffenderweise „das Konsumsteuergeheimnis“. Die MWST im Gegenzug wird transparent ausgewiesen. Das macht sie auf den ersten Blick nicht beliebter, aber ehrlicher.
Um aufzuzeigen warum die MWST einen Beitrag zu einer gerechteren Welt leisten kann, muss aber noch etwas weiter ausgeholt werden.
Globaler Wettbewerb und Sozialleistungen
Heute wird in vielen Ländern, so auch in der Schweiz, auf den Arbeitseinkommen Sozialleistungen (Arbeitslosenversicherung, AHV, etc.) verrechnet. Wie bereits weiter oben geschrieben, müssen diese Abgaben und Steuern von den Unternehmen in die Preise der Produkte eingerechnet werden. Wird nun ein in der Schweiz hergestelltes Produkt exportiert, werden dadurch, im Preis versteckt, auch die Kosten für die Sozialleistungen „mitexportiert“. Wenn das Zielland ein ähnlich ausgebautes Sozialsystem hat wie die Schweiz, spielt dies keine grosse Rolle, weil in deren Produkte Sozialleistungen in eine vergleichbaren Grössenordnung enthalten sind. Anders sieht es aus, wenn ein Schweizer Produkt in ein Land exportiert wird, wo deutlich tiefere oder gar keine Sozialabgaben erhoben werden (weil es z.B. keine Arbeitslosenversicherung und AHV gibt). Gleich verhält es sich auch beim Import: Produkte aus Ländern mit weniger gut ausgebautem Sozialsystem sind in der Schweiz günstiger, weil deren Preis weniger versteckte Sozialabgaben enthält. Dies führt zu einer Wettbewerbsverzerrung zugunsten der Länder mit schlecht ausgebauten Sozialsystemen und dies wiederum erzeugt einen Druck, die Sozialleistungen in der Schweiz zu kürzen. Ein Sachzwang entsteht.
Mit der MWST Sachzwänge auflösen
Die MWST, in ihrer Eigenschaft einer rein territorialen Steuer, bietet hier einen interessanten Ausweg aus dem vermeintlichen Sachzwang, die Sozialleistungen zu reduzieren. Werden Sozialleistungen wie ALV, IV und AHV über die MWST finanziert, reduzieren sich Wettbewerbsverzerrungen durch unterschiedlich ausgebaute Sozialsystem. Die Kosten für die Schweizer Sozialleistungen werden nicht mehr in den Preisen versteckt ins Ausland mitexportiert. Im Gegenzug wird an der Schweizer Grenze auf Importprodukte automatisch die Schweizer Sozialabgaben aufgerechnet. Alle in der Schweiz konsumierten Produkte und Dienstleistungen tragen somit im gleichen Masse zum Sozialsystem bei. Wir importieren und exportieren nur noch die Produkte und keine versteckten Sozialkosten mehr. Damit würde die Entscheidung, was für einen Sozialstaat ein Land haben will, wieder zu einer rein nationalen Angelegenheit. Das Sachzwangargument „internationale Wettbewerbsfähigkeit“ würde entkräftet und die Souveränität der Schweiz (und natürlich anderer Staaten) wieder vergrössert. Die Entlastung der Lohnkosten hätte zusätzlich noch den positiven Effekt, dass Arbeit günstiger wird. Nach gängiger ökonomischer Theorie würde dies die Nachfrage nach Arbeit erhöhen, sprich die Arbeitslosenquote senken.
Weniger Steuerfluchtmöglichkeiten
Zum Verständnis der heute gebräuchlichen Strategien der legalen internationalen Steueroptimierung zuerst ein kleiner Exkurs. Ein spannendes Beispiel aus der Brauereiindustrie wurde vor einiger Zeit in der Berner Zeitung ausführlich beschrieben. Kurz zusammengefasst: Ein internationaler Brauereikonzern, die SAB Miller, hat in Ghana 30% Anteil am Biermarkt. Die Gewinne der Tochterfirma in Ghana werden mit rechnerischen Tricks möglichst Tief gehalten. Ein Teil der Gewinne wird als Lizenzgebühren an ein Konzernunternehmen in die Niederlande verschoben (dort sind die Steuern auf Lizenzeinnahmen sehr tief), ein weiterer Teil fliesst in Form von virtuellen Beratungsmandaten ebenfalls an eine Konzerntochter in den steuergünstigen Kanton Zug. Zudem wird das Unternehmen in Ghana indirekt über eine Konzerngesellschaft auf Mauritius beliefert, wo die Steuern sehr tief sind. Zusätzlich ist die Tochterfirma in Ghana bei der in Mauritius verschuldet. All dies führt dazu, dass in Ghana selber praktisch keine Gewinne mehr anfallen, die versteuert werden müssten.
Mehr Details gibt’s im sehr lesenswerten BZ-Artikel.
Dieses fragwürdige, aber legale Beispiel ist keinesfalls eine Ausnahme, sondern weit verbreitete Praxis. Jeder internationale Konzern, der darauf verzichtet, verschafft sich einen Wettbewerbsnachteil. Den Entwicklungsländern gehen durch diese Praxis Milliarden von Steuereinnahmen verloren. Hinzu kommt übrigens noch eine weitere Ungerechtigkeit: Kleine Unternehmen ohne internationale Struktur können von diesen Tricks nicht profitieren. Dadurch haben sie einen systeminherenten Wettbewerbsnachteil gegenüber internationalen Konzernen.
Als Ausweg bietet sich auch hier die MWST an. Würden Unternehmenssteuern abgeschafft (oder reduziert) und im Gegenzug die MWST erhöht, wären solche Spielchen nicht mehr interessant. Wie wir bereits gesehen haben, fällt die MWST dort an, wo das Endprodukt konsumiert wird. In diesem Fall also im Land, wo das Bier getrunken wird. Natürlich könnte das Unternehmen weiterhin Lizenzgebührenzahlen und Beratungsdienstleistungen aus dem Ausland einkaufen. Aber diese würden auch der lokalen MWST unterliegen, weil diese Leistungen importiert werden. Vorausgesetzt, in der MWST Gesetzgebung sind keine Schlupflöcher eingebaut, würden so die Steuerfluchtmöglichkeiten deutlich reduziert. Die Wertschöpfung würde wieder dort besteuert, wo sie tatsächlich stattfindet. Die nationale Steuerhoheit wäre wieder hergestellt.
Als Konsumsteuer bietet die MWST also zwei wichtige Hebel, die, richtig eingesetzt, für mehr Steuergerechtigkeit sorgen können.
Hab ich was vergessen? Was sind deine Gedanken dazu? Ich freue mich auf eine hoffentlich rege Diskussion in den Kommentaren. Weitere Beiträge zum Thema Mehrwertsteuer werden folgen.
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