Immer wieder hört man den Vorwurf, die MWST sei unsozial. Ich wollte es mal etwas genauer wissen und habe dazu ein paar Gedanken und Rechnungen angestellt. Wie die MWST funktioniert, habe ich in diesem Artikel aufgezeigt (und dort bin ich diese Antwort schuldig geblieben).
Heute gilt in der Schweiz für Güter des täglichen Bedarf, namentlich Lebensmittel, ein reduzierter MWST-Satz von 2.5%. Auf weitere „Produkte“ die zum täglichen Bedarf gehören, wie Wohnungsmieten oder Krankenkassenprämien (weitere?), wird gar keine MWST erhoben.
Wer über wenig Einkommen verfügt, konsumiert somit anteilsmässig mehr Güter, die dem reduzierten Satz unterliegen als ein Grossverdiener. Der durchschnittlich bezahlte MWST-Satz liegt für Wenig-Verdienende (ergo Wenig-Konsumierende) dadurch tiefer als für Viel-Konsumierende. Daraus ergibt sich eine progressive Besteuerung, die vom Anteil der Güter des täglichen Bedarfs am Gesamtkonsum abhängt. Die dadurch entstehende Progression verstärkt sich, je grösser der Unterschied zwischen Normalsatz und reduziertem MWST-Satz ist.
Progressive Besteuerung
Folgende zwei Grafiken zeigen, wie die progressive Besteuerung zustande kommt. Als verfügbares Einkommen gilt das Einkommen, dass nach Abzug von Miete, Krankenkassenprämien, Versicherungen und weiteren Kosten, die nicht der MWST unterliegen, noch übrig bleibt.
Annahme 1: Ein verfügbares Einkommen bis 400 CHF wird vollständig für Güter des täglichen Bedarfs (reduzierter MWST-Satz) verwendet.
Annahme 2: Ab 400 CHF kommt ein Anteil an „normalem Konsum“ hinzu. Der Konsum von Gütern mit reduzierter MWST steigt mit zunehmendem Einkommen immer langsamer an (Sättigung).
Begründung: Bei Gütern des täglich Bedarfs stellt sich mit zunehmendem Einkommen eine Sättigung ein (irgendwann hat man genug gegessen). Eine Substitution von günstigeren durch teurere Produkte ist bis zu einem gewissen Grad möglich (z.B. Bio statt M-Budget). Bei den „normalen“ Gütern ist die Bandbreite der Preise grösser (z.B. Smart und Bentley). Wer mehr verdient, kauft also tendenziell teurere Produkte und möglicherweise auch mehr davon, als jemand mit kleinerem Einkommen.
Jemand mit nur 400 CHF verfügbarem Einkommen, kauft also zu 100 Prozent Güter des täglichen Bedarfs. Bei einem verfügbaren Einkommen von 5000 CHF sind es nur noch 24 Prozent, resp. 1200 CHF.
Mit den heute gültigen MWST-Sätzen (2.5% und 8%) ergibt sich folgendes Bild.
Die folgende Grafik zeigt den durchschnittlichen Steuersatz bei einem Normalsatz von 20% und gleich bleibendem reduzierten Satz von 2.5%. Die Progression fällt hier deutlich stärker aus.
Die MWST ist sozial
Der oben aufgezeigte Effekt der progressiven Besteuerung tritt auf, wenn der Konsum von Gütern, die dem reduzierten MWST-Satz unterliegen, mit steigendem Einkommen weniger schnell zunimmt als der Gesamtkonsum (funktioniert in diesem Rahmen auch mit anderen Annahmen). Eine progressive Besteuerung gilt als sozial, weil Wohlhabende nicht nur absolut, sondern auch anteilsmässig mehr Steuern bezahlen, als weniger Wohlhabende. Somit kann auch die MWST, richtig umgesetzt, als sozial gelten.
Eine sozial ausgestaltete MWST muss also folgende Bedingungen erfüllen:
- Güter des täglichen Bedarfs: Der Warenkorb dieser Güter muss sinnvoll zusammengesetzt sein. Sprich das Lebensnotwendige muss in die Kategorie mit reduziertem MWST Steuersatz fallen. Zudem ist eine Verwässerung dieses Warenkorbs durch hinzufügen nicht-lebensnotwendiger Güter zu vermeiden.
- Tiefer reduzierter Steuersatz. Je tiefer dieser Satz ist, desto weniger Steuern zahlen die einkommensschwachen Konsumenten.
- Deutlich höherer Normalsatz: Die Differenz der beiden Steuersätze bestimmt die Stärke der Progression.
Situation in der Schweiz
Meiner Meinung nach erfüllt die Schweizer MWST diese Bedingungen grösstenteils. Mit nur 2.5% ist der reduzierte Satz im europäischen Vergleich tief. Weil aber auch der Normalsatz sehr tief ist, fällt die Progression gering aus. Mit einem höheren Normalsatz liesse sich also die Schweizer MWST durchaus noch etwas sozialer gestalten.
Einen konkreten Vorschlag dazu werde ich in meinem nächsten Beitrag machen.
Die Stufung der Mehrwertsteuer ist in der Tat sozial. Macht es aber auch wieder komplizierter. Auch mit nur einem einzigen Mehrwertsteuersatz gibt es eine indirekte Progression. Allerdings nur auf die Konsumausgaben. Die nicht konsumierten Einkommensanteile bei Personen mit hohem Einkommen werden entweder später selbst verkonsumiert und dann wird die Steuer bezahlt. Oder sie kommen anderen Personen zu, die dann die Steuern über ihren Konsum bezahlen. Das ist in der Tat nicht das Problem. Sondern die lange Umstellungsfrist, die notwendigen Änderungen im Europarecht (für Deutschland); die Tatsache, daß man dies nur in der gesamten Eurozone gleichzeitig machen kann, das Weitgehende Nicht-Antasten der grob ungerechten Vermögensverteilung, die Tatsache, daß in Wirtschaftssektoren mit nur geringem Wettbewerb nicht damit zu rechnen ist, daß die Kostenentlastung aufgrund wegfallender anderer Steuern und Sozialabgaben vollständig über abgesenkte Preise an die Komsumenten weitergegeben werden, sondern daß hier stattdessen höhere Gewinnspannen realisiert werden; und der große Erklärungsbedarf der Mehrwertsteuerfinanzierung, der dann von der Bedingungslosigkeit ablenkt, die ja auch schon eine Menge Erklärungsbedarf hat. Das sind die wirklichen Probleme mit der Mehrwertsteuerfinanzierung (nur kurz angersissen!) Das schreckt viele Menschen vom BGE ab; und das auch völlig unnötig, da diese ja sowieso nicht sofort einführbar ist! Das ärgert mich derzeit immer mehr!
Hallo Robert
Vielen Dank für deinen Kommentar. Die MWST hat nur eine progressive Steuerwirkung, wenn die Güter des täglichen Bedarfs von der MWST ausgenommen sind oder eben einem deutlich tieferen Steuersatz unterliegen. Würde ausnahmslos der gleiche MWST-Satz für alle Produkte und Dienstleistungen gelten, bezahlten alle den gleichen Prozentsatz, was aus meiner Sicht nicht sozial ist.
Das die Umsetzung auf EU Stufe nicht einfach wäre, kann ich mir gut vorstellen. Ich finde aber, dass man sich von solchen Sachzwägen nicht abhalten lassen sollte, interessante Ideen zu entwickeln. Das BGE gehört dazu.
Beim Problem mit dem fehlenden Wettbewerb bin ich mit dir einig, denke aber, dass dies auf Stufe Wettbewerbsaufsicht gelöst werden muss.
Das BGE hat, soweit ich das verstanden habe, nicht das Ziel direkt etwas an der ungerechten Vermögungsverteilung zu ändern. Ich denke aber, dass das BGE zu einer gewissen Befreiung der Menschen führen würde. Somit würde, so meine Hoffnung, mehr Zeit und geistige Kapazität frei, um sich mit der Vermögensverteilung zu beschäftigen und für eine Änderung einzustehen. Dies primär, weil das Stigma „Wer nichts leistet, ist nichts wert“ etwas durchbrochen werden könnte.
Um die ungerechte Vermögensverteilung anzugehen, würde ich übrigens vorschlagen, eine 50%-Erbschaftssteuer mit einem hohen Freibetrag (z.B. 1 Mio. CHF) einzuführen. Die Einnahmen aus dieser Steuer, könnten ebenfalls zur Finanzierung des BGE dienen.
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